Demetira De Naar und ein Einblick in Ashmaras Familie
„Demetira, zum Henker noch mal“, brüllte meine Mutter vom Hof ins Haus herein. „Ich habe dir doch schon hundert Mal gesagt du sollst Naar nicht alleine im Wald jagen lassen! Er ist völlig verdreckt und hat sich eine tiefe Wunde zugezogen. Komm sofort hierher und kümmere dich um ihn. Naar ist dein Schützling und du solltest ihn stets im Auge behalten. Das ist doch nicht so schwer.“
Eiligst klappte ich das Buch der dunklen Flüche zu, und versteckte es unter meinem Bett. Meine Mutter regte sich noch viel mehr über das Studieren solcher Blutbücher auf, als wenn ich ihren geliebten Naar nicht „standesgemäß“ behandelte.
Sie meint, kein Mensch sollte sich anmaßen, über die Kräfte des Bösen herrschen zu können. Sie erwartete von mir, dass ich die Familientradition weiterführte, und wie schon mein Großvater und meine Eltern an meinem 16. Jahrestag zur Ausbildung als Waldläuferin ins Kloster eintrete.
Das fehlte mir gerade noch! Im schlimmsten Fall würde ich meine Mutter als Ausbilderin bekommen und das konnte ich nun gar nicht gebrauchen. Aber hier war das letzte Wort auch noch nicht gesprochen. Schon seit einiger Zeit versuchte ich meinen Vater auf meine Seite zu ziehen um die Ausbildung zur Nekromantie erlernen zu dürfen.
Die Macht über untote Diener zu haben, und das Wissen mächtiger Flüche und Blutmagie faszinierte mich ungeheuer. Wie meine Mutter, war ich eher klein und zierlich gewachsen und würde somit eine eher mittelmäßige Kriegerin abgeben. Und Waldläuferin kam nun gar nicht für mich in Frage. Diese Vorliebe schien ich wohl nicht von meinen Eltern geerbt zu haben.
Als ich zur Tür raus kam, kniete meine Mutter bereits neben dem Tiger Naar und inspizierte seine Wunde genau. Sie warf mir einen sehr enttäuschten Blick zu und sagte mit eisiger Stimme. „ Bring mir sofort einen sauberen Tuchballen, etwas Distelöl zur Gerinnung und die Tai Lingsalbe zur Wundlinderung.“
Mit gesenkten Schultern lief ich zurück ins Haus und tat wie mir aufgetragen. Ich mochte es gar nicht, wenn sie mich so ansah. Es gab mir immer das Gefühl versagt zu haben. Großmutter Laodre sah von ihrem Webstuhl zu mir auf, und warf mir einen aufmunterten und verständnisvollen Blick zu.
Früher war sie die erste königliche Lagerverwalterin des Außenpostens Tsumei, nahe des Kloster gewesen, wo ich größtenteils unter ihrer Aufsicht herangewachsen bin. Mutter stand damals noch im Dienste des Königs und war sehr oft auf Reisen.
Erst als es Großmutter nicht mehr so gut ging, zogen wir ins Dorf Kaitan und Mutter übernahm einen der Ausbildungsposten im Kloster. Von meiner Großmutter habe ich mein rabenschwarzes Haar und den hellen, ebenmäßigen Teint geerbt.
Sie muß in der Jugend eine Schönheit gewesen sein, als mein Großvater sie damals kennenlernte. Sie sagt immer zu mir, würde er noch leben, er würde mich wie ein kostbaren Schatz hüten, so wunderschön wäre ich. Ich denke jedoch, Großmutter neigt ein wenig zur Übertreibung weil sie mich einfach so gerne hat.
Sie überhäuft mich seit meiner Geburt mit Liebe und ihrer Wertschätzung. Mein Großvater Thiran ist leider schon lange vor meiner Geburt verstorben. Mutter spricht nur selten über ihn. Ich wünschte ich hätte ihn kennengelernt.
Schon unzählige Male erzählte mir meine Großmutter Geschichten über ihn. Immer wenn sie über ihn spricht dann leuchten ihre Augen und sie strahlt eine derartige Kraft und jugendliche Stärke aus, dass man nicht glauben würde sie wäre schon über 55 Winter alt. Am liebsten lasse ich mir von ihrer ersten Begegnung erzählen.
Meine Großmutter Laodre war damals als königliche Lagerverwalterin zu dem neuen Außenposten Tsumei berufen worden. Mein Großvater Thiran sollte wieder einige Aufträge überprüfen und die Lagerbestände des Königs in Tsumei begutachten.
Da der Außenposten erst seit kurzem bestand, ging es drunter und drüber als er dort ankam. Viele Kisten standen ungeöffnet herum, es gab kein genaues Lagerverzeichnis und dringend benötigte Heilmittel waren nicht vorhanden.
Mein Großvater platzte fast vor Wut über solch ein Chaos und lief laut fluchend im Außenposten herum. „Bei dem Ärger aller guten Götter, was ist denn das hier für eine Unordnung. Man bringe mich sofort zum ersten Lagerverwalter! Dem muss ich wohl mal etwas Disziplin beibringen. Dem König würde das hier bestimmt nicht gefallen!“
Laodre, meine Großmutter überprüfte gerade die Nahrungsvorräte im Verpflegungszelt. „Noch so ein aufgeblasener Wichtigtuer,“ dachte sie bei sich, als sie das Gebrüll meines Großvaters vernahm. Sie streifte ihren Leinenrock zurecht und bewegte sich sehr verärgert in Richtung dieser lauten Stimme.
Seit dem frühen Morgen schuftete sie hier fast alleine, um einen besseren Überblick der vorrätigen Ressourcen zu bekommen. Eine Kiste nach der anderen wurde von ihr persönlich inspiziert, und alles genau verzeichnet. Durch die Anstrengung und Eile mit der sie arbeitete, war keine Zeit geblieben sich auch noch um ihr Äußeres zu sorgen.
Einige Strähnen hatten sich aus ihrem langen, geflochtenen Zopf aus tiefschwarzem Haar gelöst und umrandeten ihr von der Anstrengung leicht gerötetes und teilweise mit schwarzer Tinte verschmiertes Gesicht. Man konnte trotz allem ihren elfenbeinfarbenen Teint und die makellos geschwungenen Gesichtszüge erkennen.
Schon hatte Laodre den „Brüller“ entdeckt und schritt energischen Fußes auf ihn zu. Thiran sah sie nicht kommen, und erst als sie ihn von hinten an die Schulter tupfte und mit einem, „Seid gegrüßt, mein Herr. Ich nehme an ihr seid Sir Thiran, der königliche Gesandte“ ansprach, drehte er sich um und blickte Laodre mit deutlich überraschter Miene an.
Sie streckte ihm die Hand zum Gruße entgegen, und fuhr unbeirrt fort. „Ich nehme an ihr seid durstig und hungrig von der langen Reise. Folgt mir bitte ins Verpflegungszelt, dort können wir alles weitere besprechen.“
Erst jetzt bemerkte Thiran die zum Gruß gestreckte Hand und drückte sie zaghaft. Er starrte meine Großmutter unverhohlen an und brachte nichts weiter heraus als „Lady, ihr habt da etwas schwarze Tinte in eurem Gesicht“ und hielt weiterhin ihre Hand fest.
Laodre war von Thirans Reaktion etwas verwirrt und empfand sie auch als anmaßend und ging sofort auf Angriff über. Sie entzog ihm schnell wieder ihre Hand. „Sir! Natürlich habe ich Tinte im Gesicht. Seit dem frühem Morgen bearbeite ich das Lagerverzeichnis und schleppe eine Kiste nach der anderen. Die drei Ordnungshelfer welche mir zugesagt wurden, sind bis jetzt nicht eingetroffen und niemand weiß wo sie verblieben sind. Einige Purpurschädel haben Splittergruppen gebildet und wenden sich nun gegen den König. Der Heilmitteltransport wurde heute morgen überfallen und nur Sir Gerin und zwei seiner Gefolgsleute konnten entkommen. Sie liegen schwer verletzt im Lazarett und ich weiß nicht ob sie diese Nacht überleben werden. Ich habe nur zwei Hände und gebe hier mein Bestes. Ihr habt nicht anderes zu tun, als hier herum zu brüllen ohne die Umstände zu kennen und mich auch noch unverschämt anzusprechen. Ich hatte nun wirklich keine Zeit auch noch ein Bad zu nehmen, um euch standesgemäß zu empfangen!“
Laodre war nun richtig wütend und ihre grauen Augen blitzten Thiran angriffslustig an. „Und nennt mich nicht Lady, Sir Thiran. Ich bin Verwalterin Laodre und Disziplin ist eines meiner obersten Gebote. Was genau wollt ihr mir denn nun darüber noch beibringen?“
Thiran starrte Laodre jetzt völlig verzückt an. Ein Lächeln spielte um seine Lippen und seine Gedanken kreisten wild umher. „Sie ist einfach zauberhaft! Was für eine Energie und diese leuchtenden Augen. Ihr seidiges Haar glänzt trotz des Staubes und selbst mit der Tinte im Gesicht sieht sie atemberaubend schön aus.“
Gerade noch rechtzeitig bemerkte er wie sich Laodres Miene zusehends verfinsterte und mahnte sich selbst zur Ordnung. Er trat einen Schritt zurück, verbeugte sich elegant und richtete dann seinen Blick wieder zu Laodre. „Lady, verzeiht mir, ich meine Verwalterin Laodre, ich entschuldige mich in aller Form für mein mehr als unangebrachtes Auftreten. Es ist mir eine Ehre ihre Bekanntschaft zu machen.“
Zur Bestätigung seiner Worte streckte er Laodre noch einmal seine Hand entgegen, welche sie leicht zögerlich mit einem kurzen Druck und Nicken erwiderte. „Ich bin auf direktem Wege von Kaineng hierher gereist und eure mißliche Lage hier war mir nicht bekannt. Man sagte mir, der Außenposten sei so gut wie bereit die Truppen zu versorgen und ich sollte nur noch die letzte Begutachtung vornehmen. Verzeiht einem törichten Jungspund wie mir, dass ich Euch nicht standesgemäß behandelt habe.“
Laodre hatte sich nun wieder ein wenig gefangen und setzte ein kaum merkbares Lächeln auf. „Nun denn, Sir Thiran,“ „Bitte Verwalterin Laodre“, unterbrach sie mein Großvater, „Nennt mich nur Thiran, ich bitte darum.“ „Nun gut Thiran, vielleicht haben wir beide etwas übertrieben regiert. Folgt mir nun bitte ins Zelt. Ich werde euch zuerst etwas Wein und Brot bringen, danach können wir die Lage besprechen.“
Thiran schenkte Laodre nun sein schönstes Lächeln und folgte ihr mit den Worten. „Ich danke euch vielmals, werte Verwalterin Loadre. Speis und Trank werden mir gut tun und mir neue Kräfte schenken, um euch hier ein wenig zu unterstützen, wenn ihr es gestattet.“
„Demetira, was bitte dauert denn da so lange? Naar blutet sehr stark. Beeil dich doch!“ Die hysterische Stimme meiner Mutter riß mich aus meinen Tagträumen. Manchmal denke ich wirklich , dass meine Mutter ihre Tiere mehr liebt als mich.
Und Naar, dieses verhätschelte Tigerbaby mochte mich ja ohnehin nicht. Warum sollte ich mich um ihn kümmern. Er schmiegt sich immer nur um die Beine meiner Mutter und selten gehorcht er meinen Befehlen. Er ist gerade erst ein Jahr alt geworden, und das stärkste Jungtier aus dem dritten Wurf unserer Züchtung.
Seine Mutter ist Akine, die Schneetigerin meines Vaters Jokandrelan De Naar, und sein Vater ist natürlich Oon, der Tiergefährte meiner ach so hochtrabenden Mutter Ashmara. Ich wollte nie einen Tierschützling haben, doch meine Eltern meinten an meinem 14. Jahrestag, dass es nun dafür Zeit wäre.
Ausnahmsweise waren sie hier Beide mal gleicher Meinung und unerbittlich. Mein Vater konnte mir normalerweise keinen Wunsch abschlagen, aber bei dieser Entscheidung stand er felsenfest hinter meiner Mutter. Also fügte ich mich und zog dieses sabbernde Wollknäuel hoch.
Ich gab ihm dem Namen Naar, als Zeichen meiner Hochachtung für meinen Vater. Wie wohl jede Tochter liebte ich meinen Vater abgöttisch. Er war zwar viel im Auftrage des Königs unterwegs und manchmal monatelang nicht zu Hause, doch wenn er hier war, dann verbrachten wir viel Zeit miteinander.
Von ihm bekam ich die Geborgenheit und Sicherheit, die mich meine Mutter nur selten spüren ließ. Ich wußte sie liebte mich, dennoch fiel es ihr offenbar nicht leicht, mir dies auch zu zeigen. Fast täglich lagen wir uns wegen Kleinigkeiten in den Haaren und redeten aneinander vorbei.
Wenn ich mich darüber bei meinem Vater beschwerte, meinte er nur lächelnd. „Nun kannst du mal sehen, wie es mir ständig geht. Schon an dem Tag, an dem ich deine Mutter zum ersten Mal sah, hatten wir unseren ersten Streit. Sie ist nun mal äußerst stur und läßt nur selten eine andere Meinung gelten, und ich bekomme das heute noch zu spüren. Aber sie hat ein gutes und tief bewegtes Herz. Sie liebt dich mehr als ihr eigenes Leben, glaube mir Demetira mein Liebes, und würde alles für dich tun. Trotz eurer Unstimmigkeiten wird sie immer für dich da sein. Komme da was wolle, vergiss das nie mein Kind.“